„Seemannsgarn und Havarien“ war der Untertitel des SF am 12.1.2025, in welchem die Neuproduktion von Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ vorgestellt wurde. Nach Schilderung der Handlung widmete sich Musiktheaterdramaturg Martin Schönbauer der Entstehungsgeschichte. Der Ursprung der Sage geht auf das „Goldene Zeitalter“ der Niederlande zurück, in dem die Seefahrt eine dominierende Rolle einnahm. Das Kap der Guten Hoffnung, das auch der Fliegende Holländer umsegeln musste, war für alle Kapitäne aus verschiedenen Gründen eine besonders gefährliche Herausforderung. Oft dauerte es Wochen, bis die Seeleute das Kap umschiffen konnten. Im 17. Jahrhundert war auch Bernhard Fokke unterwegs. Aufgrund einer besseren technischen Ausrüstung benötigte er nur die Hälfte der normalerweise üblichen Zeit, sodass man vermutete, er habe einen Pakt mit dem Satan geschlossen, was den den Holländer belastenden Fluch erklären könnte. Entscheidende Impulse für seine Oper bekam Richard Wagner allerdings bei einer selbst erlebten gefährlichen Irrfahrt über die tosende Nordsee, bei der ihn ein Neufundländer-Hund namens „Robber“ begleitet hatte.
Nach diesen einführenden Erläuterungen bewunderten wir Erica Eloff mit der sehr eindrucksvoll und berührend vorgetragenen „Holländer Ballade“ der Senta. Sehr leise und fast zögerlich am Beginn steigerte sie sich bis zu ihrem festen Entschluss, den bleichen Seemann durch ihre Treue zu erlösen.
Anschließend gaben Intendant Hermann Schneider (Inszenierung), Chefdirigent Markus Poschner (musikalische Leitung), Dieter Richter (Bühne) und Meentje Nielsen (Kostüme) Einblick in die Linzer Neuproduktion. Für Hermann Schneider sind drei Aspekte maßgeblich. Zum ersten ist es die Frage nach der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten, ist doch die erscheinende Sagengestalt eine Figur aus einem längst vergangenen Jahrhundert. Zum zweiten fragt Schneider nach der Ursache für Sentas unerschütterliche Fixierung auf den Fliegenden Holländer und führt dies auf ein Schlüsselerlebnis in Sentas Kindheit zurück. Die dritte Frage ist jene nach der Erlösung durch Sentas Selbstmord.
Hauptfigur in Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ ist das offene Meer, die stürmische See. Die Ouvertüre wird begleitet von einer szenischen Gestaltung. In Dalands Kneipe, eine Erfindung des Linzer Regieteams, unterhalten sich möglicherweise arbeitslose Matrosen in feucht-fröhlicher Runde. Zusätzlich tritt eine „kleine Senta“ auf. Sie hat als Kind einen Leichnam gesehen, ein Bild, das sie nicht mehr loslässt. Im Laufe der Oper versucht sie, dieses traumatische Erlebnis abzuarbeiten und erlebt einen Mann, der aussieht wie der Leichnam, den sie gesehen hat. Es ist der Fliegende Holländer, der als „Untoter“ über das Meer segelt. Das erklärt die „Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem“ und auch Sentas Fixierung auf den bleichen Seemann. Erst mit ihrem Sprung ins Meer am Schluss der Oper schafft sie es, dieses tragische Angsterlebnis hinter sich zu lassen, und erlöst damit letztlich (auch) sich selbst. Der Fliegende Holländer geht zwar auf eine alte Sage zurück, ist aber durchaus aktuell und spricht auch Probleme der heutigen Zeit an, ist doch die Anzahl der Heimatlosen, die irgendwo herumirren und eine Heimat suchen, in stetigem Steigen begriffen. Schneider vergleicht die Handlung auch mit dem Untergang des Schiffes Estonia im Jahr 1994, dessen Ursache bis heute nicht exakt geklärt ist. Das Meer ist eine Art Seelenraum ähnlich dem Wald in Webers „Der Freischütz“. Neben den Leitmotiven sind – so Markus Poschner – die „kleinen Vorschlagsnoten“ charakteristisch für das Werk. Wir finden diese in der Ouvertüre, aber auch bei den Chören („su-u-um…“) und schließlich auch beim Holländermotiv. Sämtliche Protagonisten sind Suchende, zum Teil Anarchisten wie die Titelfigur selbst, die sich auflehnt gegen die von Gott gegebenen Naturgesetze. Die Kostüme sind den handelnden Personen auf den Leib geschnitten und sollen – wie die vorgeführten Bilder erkennen lassen – Unterschiede verdeutlichen. Den musikalischen Abschluss dieses interessanten und außergewöhnlich gut besuchten SF bildete das Duett von Senta und Erik, gesungen von Erica Eloff und Matjaž Stopinšek, am Klavier begleitet von Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung Daniel Strahilevitz.
Irene Jodl
Fotograf: Fleckenstein
Fotos SF
SonntagsFoyer
108. SonntagsFoyer – Madama Butterfly
Anlässlich der Neuinszenierung von Puccinis beliebter Oper Madama Butterfly befasste sich beim SF am 24.11.2024 Moderatorin und Dramaturgin Anna-Maria Jurisch mit den gegensätzlichen Liebeswelten der japanischen Geisha Cio-Cio-San und dem amerikanischen Marineleutnant Pinkerton und gab Read more…