Beim SF am 27.2.2022 musste Präsident Rieder bei den in großer Zahl erschienenen interessierten Besuchern leider Schauspieldirektor Stephan Suschke (Inszenierung) und Markus Poschner (musikalische Leitung) entschuldigen. Dafür gab es aber mit Intendant Hermann Schneider einen nicht minder beliebten prominenten „Einspringer“, der uns die Reise des reinen Toren auf eine spannende und wissenschaftlich bestens fundierte Weise näherbrachte. Als Moderator fungierte MT-Dramaturg Christoph Blitt, der mit einer kurzen, präzisen Inhaltsangabe des fünfstündigen Werkes von Richard Wagner begann.
Nach der anschließenden Frage, warum man Parsifal auf den Spielplan setzen solle, verwies Intendant Schneider auf die Relevanz des Glaubens. Die Frage, in welcher Form Glaubensinhalte vermittelt werden können, wenn Institutionen, wie etwa die Kirche, in eine Krise geraten sind oder deren moralische Integrität verloren haben, beantwortet Richard Wagner selbst mit „die Kunst“. Siehe dazu auch Nietzsches Zarathustra: „Gott ist tot – wir haben ihn getötet“.
Richard Wagner hat sein letztes Werk als Bühnenweihfestspiel bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich dabei nicht nur um ein Musikdrama handelt, sondern ihm ein Zweck unterstellt ist. Wagners Vorbild dafür war die Bühne der Antike, die schon damals auch als Ort für spirituelle und ästhetische Erziehung galt. Vergleichbares findet sich auch bei Skrjabin, Messiaen (Saint Francois d´Assise) und Stockhausen.
In Parsifal gibt es kaum Dialoge. Die Titelfigur selbst erscheint als gewalttätiger Mensch, der in völliger Isolation ähnlich wie Kaspar Hauser aufgewachsen ist. Im ersten Aufzug tötet er ein Tier, im zweiten Aufzug muss er, um in Klingsors Reich zu gelangen, mehrere Menschen umbringen und tötet letztlich die Welt, die er ablehnt – Klingsors Reich versinkt. Kundry hingegen funktioniert auf einer emotionellen Ebene, sie holt Arznei und will dienen. Gurnemanz ist der Erzähler, der Evangelist, aber auch der, der die Strippen zieht. Amfortas und Klingsor sind zutiefst traumatisiert und haben mit ihrer Ich-Bewältigung zu kämpfen.
Zentrale Bedeutung in Parsifal spielen die beiden Symbole Gral und Speer. Der Gral erinnert an das letzte Abendmahl und steht für den Kelch, in dem Christi Blut aufgefangen wurde. Hier wird also nicht – wie etwa im katholischen Gottesdienst – Wein in Christi Blut verwandelt, sondern das Blut selbst steht für Kommunion, aber auch Opferung und Vergebung. Der Speer steht für die heilige Lanze des Longinus, mit der er Christus nach dessen Tod in die Seite gestochen hat. Sie ist in der Schatzkammer der Wiener Hofburg ausgestellt.
Parsifal erlangt seine Erkenntnis durch Kundrys Kuss. Dabei wird er nicht nur „welthellsichtig“ im Sinne von Wissen, sondern auch der Sexualität und der Selbstfindung. Der einsam lebende Parsifal erinnert sich an seine Kindheit und erkennt gleichzeitig auch Weltzusammenhänge. Allerdings vergehen danach noch Jahre, bis Parsifal nach langen Irrwegen wieder in die Gralsburg zurückkehrt.
Wagners Werke sind geprägt durch ein ständiges Sehnen nach Erlösung, und zwar sowohl individuell (Befreiung von Institutionen und Strukturen und Finden zu sich selbst), als auch kollektiv „Befreiung der Natur“ – Karfreitagszauber – Schneider und Blitt machen in diesem Zusammenhang einen Exkurs zur Werksentstehung.
Letztlich wird auch der Erlöser selbst erlöst, ist also nicht nur Mittel zum Zweck. Mit der „Erlösung dem Erlöser“ gelangen wir schließlich in einen Zustand, in dem nichts mehr zu tun ist, in dem es keines weiteren Erlösers mehr bedarf, ähnlich dem Nirwana.
Die musikalischen Intermezzi wurden gestaltet von Michael Wagner („Titurel, der fromme Held“) und Katherine Lerner (Erzählung der Kundry „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“), am Klavier begleitet von Korrepetitor Svetlomir Zlatkov. Daneben gab es diesmal auch ein „sprachliches Intermezzo“ in Form einer „Publikumsbefragung“. Unter dem Stichwort „Sprechen wie Richard Wagner“ erläuterte Blitt die Wörter Atzung, freislich, beuten und Breste.
Irene Jodl
Fotograf: Fleckenstein
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