Von Märchenwäldern in Oper und Musical“
Das vorletzte Sonntagsfoyer am 22.5.2016 in der Spielsaison 2015/16 war, wie Präsident Rieder in seiner Begrüßung mitteilte, gleichzeitig das letzte mit Anwesenheit von Intendant Rainer Mennicken. Dieser Anlass wurde genützt, um den Dank und die Wertschätzung in der langjährigen Zusammenarbeit von beiden Seiten zum Ausdruck zu bringen. Intendant Rainer Mennicken war in dieser Veranstaltung allerdings auch in der Funktion des Regisseurs präsent, denn galt es doch Hintergründe, Unterschiede und Zusammenhänge der beiden laufenden Produktionen „Hänsel und Gretel“ und „Into The Woods“ zu beleuchten und dem interessierten Publikum näherzubringen.
Magdalena Hoisbauer, Dramaturgin der Märchenoper „Hänsel und Gretel“ und Arne Beeker, Dramaturg im Musical „Into The Woods“ führten zu Beginn das interessierte Publikum anschaulich zu den historischen Wurzeln des Märchens als älteste Textgattung. Lange Zeit hindurch war dafür die mündliche Form die einzige Art der Überlieferung. Im 19.Jhdt. hatten die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm Volksmärchen aufgeschrieben und als literarische Verarbeitung von Volksmärchen 1812 ihr erstes Buch herausgegeben. Eine Antwort auf die Frage „Was können Märchen leisten?“ – konnte man in dem von Arne Beeker vorgetragenen Text des Philosophen Ernst Bloch finden: Die Erkenntnis, dass am Ende sich alles Leid zum Guten wendet!
Im folgenden Podiumsgespräch mit den Regisseuren wurde der Fokus auf die beiden Produktionen „Hänsel und Gretel“ und „Into The Woods“ gerichtet.
Die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ basiert auf einzelnen Kompositionen Engelbert Humperdinks für ein privates Fest („Kinderstubenweihfest“). Aufgrund des großen Anklangs seiner Musikstücke arbeitete er weiter und es entstand daraus die Oper, welche 1893 in Weimar uraufgeführt wurde. Der Musicalkomponist Stephen Sondheim und Librettist/Drehbuchautor James Lapine entwickelten in den USA gemeinsam das Musical „Into The Woods“. Dieses zählt in den USA seit der Uraufführung 1987 zu den meistgespielten.
usgehend von grundlegenden Erkenntnissen von C.G. Jung und Bruno Bettelheim zu gemeinsamen Grundmotiven in Märchen aus unterschiedlichen Kulturen sowie der vereinfachten Darstellung von Problemen in Märchen richtete sich die Frage an die Regisseure zur Herangehensweise in der jeweiligen Inszenierung.
Rainer Mennicken:
Die Themen des Märchens „Hänsel und Gretel“ Armut und Hunger wurden mit dem Blick auf die heutigen Verhältnisse des Überflusses nach dem Motto „All zu viel ist ungesund“ bearbeitet – symbolischer Hunger in Form der Verlockung durch Süßigkeiten. Die Hexe tritt als Verführerin auf. In Abänderung des konventionellen Endes des Märchens soll die Hexe im Backofen nicht sterben, denn, so der Regisseur, das Böse in der Welt kann man nicht ausrotten. Große Bedeutung hatte für ihn auch die Einbeziehung der Kinder des Theaterchores und der Tanzakademie in der neugestalteten Engelsszene als Tiere des Waldes, Schneewittchen und die 7 Zwerge. Auch die Idee zum Bühnenbild stammt vom Regisseur. Die Möglichkeit der Gestaltung des Bühnenbildes beschrieb Rainer Mennicken als großartige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Werkstätten.
Matthias Davids erzählte über die Erprobungsphasen von Musicalproduktionen in den USA unter Befragung des Publikums, um durch Abänderungen ein optimales Ergebnis zu bekommen – so auch bei „Into The Woods“. Im Drehbuch zum Musical handelt es sich um ein Märchenkonglomerat, wobei die Figuren nicht jenen der ursprünglichen Märchen entsprechen. So ist beispielsweise die Hexe eine gute Figur, die sich letztendlich auch optisch in eine schöne Frau verwandelt. Ein von Lapine erfundenes Märchen bringt bisher unbekannte Figuren in dieses Märchengeschehen. Alle handelnden Märchenfiguren (Rotkäppchen, Rapunzel, Prinzen uvm.) treffen sich im Wald, denn jeder hat ein Motiv dorthin zu gehen. Die Geschehnisse im Wald sind jedoch andere, als jene, die uns aus den Märchen bekannt sind. Matthias Davids streicht den 2.Teil des Musicals als Besonderheit heraus. Dieser Teil beschäftigt sich zusammengefasst mit der Frage: „Was ist nach dem Happy End?“ – eine neue, unbekannte Situation! Es gibt keinen vorgeschriebenen Weg mehr, aber es gilt eine Situation gemeinsam zu meistern. Aufgrund der gegebenen Problematik der proportionalen Darstellung eines Waldes auf der Bühne und inspiriert durch die „Streichholzschachtelkunst“ wurde die Ausstattung in „Schachtel-Szenen“ gebracht, wobei sich einzelne Elemente im Verlauf vergrößert bzw. in Miniaturformat wiederfinden.
Die äußerst interessanten Ausführungen der Regisseure zu ihren Inszenierungen wurden unterstrichen durch die Darbietungen dreier Ensemblemitglieder: Der Tenor Hans-Günther Müller fegte zwischendurch als „Knusperhexe“ aus der Oper „Hänsel und Gretel“ am Publikum vorbei und zog mit ausdrucksvoller Stimme und Mimik auch ohne Kostüm die Besucher in seinen Bann. Ariana Schirasi-Fard zog als Rotkäppchen auf amüsante Weise aus den Geschehnissen im Wald ganz persönliche Erkenntnisse. Kristin Hölck brachte den Zuhörern ihre Rolle als Hexe in „Into The Woods“ sehr ausdrucksvoll mit dem Lied „Die letzte Nacht“ nahe. Die Künstler wurden vom Kapellmeister und Korrepetitor Borys Sitarski professionell begleitet.
Für die sehr bereichernde, informative und künstlerische Darbietung bedankte sich das Publikum mit herzlichem Applaus.
Hermine Zaunmair
Fotograf: Fleckenstein
Dank an Intendant Rainer Mennicken